26.02.2013

Mäuse

Von Andrea Mattmann
Es wimmelt. Ein pelziger grau, braun, weisser Teppich breitet sich aus. Niemand weiss, woher er kommt und der Notstand ist ausgerufen worden.

Iiiii!, schreit Bea, seine Frau. Sie sitzt auf dem runden Küchentisch und getraut sich nicht mehr herunter, denn aus einem Loch in der Wand trippelt und huscht ein Strom kleiner ekliger Mäuse. Er selbst findet sie gar nicht so schrecklich mit ihren Knopfaugen, und vor allem ziehen sie weiter, quer durch die Wohnung zur offenen Balkontür hinaus. Trotzdem probiert er das Loch zuzustopfen, nimmt dazu ein Tuch, drückt es zusammen und stösst es in die Öffnung. Dann stellt er die rechteckige Pflanzenkiste davor. So, geschafft, sie sind weg. Bea, du kannst vom Tisch steigen, das Loch ist zu. Gemeinsam schauen sie den schwindenden Tierchen nach.

Der kleine Peter sitzt im Sandkasten. Mit einer kleinen Schaufel gräbt er ein Loch, um einen Tannenzapfen hinein zu legen. Da bewegt sich der Sand, und er beugt sich vor um zu sehen, was passiert. Ein Köpfchen kommt zum Vorschein und zwei Augen schauen ihn an. Fast im selben Moment krabbelt das Wesen heraus und sucht das Weite, und noch eines, und noch eines, und noch eines folgen ihm . Peter ist gebannt von dem Geschehen. Er steht auf und macht einen Schritt zurück. Es zieht ihn fort und er folgt der Mäusekarawane. Halt, ruft seine Mutter, die merkt, dass etwas nicht stimmt und läuft ihm nach, bleibt stehen. Sie hat ihn eingeholt und kriegt seine Hand zu fassen. Er will sich loszerren, sie hält ihn fest und sieht erst jetzt die vielen Mäuse. Angewidert greift sie zum Handy und telefoniert der Polizei.

Er ist Sigrist und gerade dabei, die Kirche herzurichten, denn in einer Stunde wird eine Hochzeitsfeier stattfinden. Als er ein Arrangement mit weissen Rosen vor den Altar stellt, huscht eine Maus vorbei. Eine Maus in seiner Kirche. Er holt einen Besen und die Jagd beginnt, denn es wimmelt plötzlich von Mäusen. Mit dem Besen schlägt er kreuz und quer um sich, merkt aber bald, dass das nichts bringt und probiert herauszufinden, woher diese Mäuseschar kommt. Durch eine Bankreihe und den Mittelgang führt ihn die Spur nach hinten zum Lüftungsschacht. Da ist ja das Einfallstor, wartet nur ihr kleinen Biester. Er holt kurzerhand den Wasserschlauch und flutet den Schacht. Eines der kleinen Dinger beisst sich in seine Hand und im hohen Bogen schleudert er die Maus an die Wand wo sie zerklatscht und einen roten Flecken hinterlässt. Etwas Komisches passiert. Der Sigrist schrumpft, sein Gesicht und die Ohren spitzten sich zu und ein grauer Pelz wächst am ganzen Körper. Er wird zur Maus.

Im ganzen Land ereignen sich ähnliche Geschehnisse. Mäuse brechen aus Nischen und Löchern hervor und wer gebissen wird, verwandelt sich. Telefonanrufe überschwemmen die Polizei. Diese rät, Ruhe zu bewahren und dem Mäusestrom auszuweichen. Das Radio und das Fernsehen sendet stündlich neue Lageberichte und jeder fragt sich, wie das enden wird.
Die Politiker sind zermürbt. Gerade haben sie es geschafft, die Grenzen zu schliessen, um endlich die Zuwanderung zu stoppen und jetzt das. Zu allem Elend ist ihr Präsident ein Mäusebissopfer und sitzt verstört hinter dem Abfalleimer.

In seinem Arbeitszimmer sitzt Mattias Zopf. Er ist Biologe und befasst sich mit dem Mäuseproblem. Er hat auf einer Landeskarte sämtliche Bewegungen und Orte des Hervorbrechens aufgezeichnet. Man hat ein Mäusenetzwerk erstellt, sodass sich sämtliche Informationen bei ihm sammeln. Das ist ja spannend, murmelt er in sich hinein, diese Mäuse scheinen eine Strategie zu haben, aus allen Gegenden strömen sie Richtung Hauptstadt. Er greift zum Telefon und bespricht sich mit seinen Kollegen, und es wird ihm bestätigt, dass sich auf dem grossen Platz vor dem Regierungsgebäude ein riesiger, lebendiger, graubraunweisser Teppich bildet. Er packt seinen Mantel und die Tasche und macht sich auf den Weg. Der Verkehr ist lahmgelegt, und es dauert eine Weile bis er vor Ort ist.
Was er da sieht, ist beeindruckend. Ein Meer von Mäusen, die piepsen und quietschen und huschen und anknabbern, was am Weg ist.
Währenddessen herrscht im Sitzungszimmer der Regierung Beklommenheit, die der Verteidigungsminister mit der Bemerkung durchbricht, das ist ja hervorragend. Sie sollen nur alle kommen auf unseren Platz, dann erledigen wir sie in einem Durchgang. Eine Dosis Nervengift und fertig. Was fällt Ihnen ein, empört sich die Innenministerin, denken sie an unseren Präsidenten und all die andern Menschenmäuse. Ach was, mit Verlusten muss man rechnen, entgegnet dieser. Haben sie vielleicht eine andere Lösung? Betretenes Schweigen.

Man beruft eine Kriseninterventionssitzung ein mit Polizei, Militär, Politik und Wissenschaft und einigt sich, Herrn Zopf 24 Stunden Zeit zu geben, weil dieser überzeugt ist, dass dieses Phänomen zu erklären sei und die Mäuse eine Art Demonstration veranstalteten, und er den Grund herausfinden wolle. Das Nervengift setze man nach Ablauf der Frist ein und fertig. Der Verteidigungsminister hat die Vorbereitungen zu treffen.

Herr Zopf legt mit seinem Team eine Nachtschicht ein. Beobachtet, befragt Leute und trägt alle möglichen Informationen zusammen. Schliesslich döst er über seinem Laptop ein. Ein Krabbeln weckt ihn und er sieht gerade noch den Schwanz einer Maus um die Ecke verschwinden. Wieder hellwach, traut er seinen Augen nicht. Auf seinem Laptop steht: WIR WOLLEN DIE HÄLFTE VON EUREM KÄSE!

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