08.12.2012

Herr F

Von Barbara Bühler

Als es mitten in der Nacht an ihrer Tür polterte und lärmte, erschrak sie fast zu Tode. Sie lauschte an der geschlossenen Tür, erkannte die Stimme von Herrn F und öffnete. Er leuchtete ihr mit seiner grossen Stabtaschenlampe direkt ins Gesicht und schrie völlig ausser sich, es seien Einbrecher im Estrich, man müsse etwas unternehmen, sie überwältigen, die Polizei rufen.
  Die Estrichtür war geschlossen, das Licht brannte nicht, es war still. Sie beruhigte Herrn F und begleitete ihn zu seiner Wohnung im unteren Stock. Er legte die Taschenlampe auf den Küchentisch, trollte sich wortlos ins Schlafzimmer, legte sich ins Bett und schlief augenblicklich ein. Als sie am nächsten Abend von der Arbeit nach Hause kam, traf sie F im Pyjama im Treppenhaus an. Er stierte sie mit weit aufgerissenen Augen an, streckte ihr seine Taschenlampe wie ein Schwert entgegen und schrie: „Was haben Sie hier zu suchen, junger Mann? Ich kenne Sie nicht! Verschwinden Sie!“ Als die Sanitätspolizei eintraf, sass Herr F weinend auf der Treppe und flüsterte etwas von dreisten Einbrechern, Dieben und Ganoven vor sich hin.
  Einen Monat später traf sie F wieder im Treppenhaus. „Guten Tag Frau B, alles in Ordnung?“, grüsste er freundlich, ganz sein altes Selbst. Erfreut über seine offensichtliche Genesung grüsste sie zurück, stieg mit ihm die Treppe hoch bis zu seiner Wohnung und wünschte ihm einen schönen Abend. Als sie sich anschickte, die Treppe zu ihrer Wohnung hochzusteigen, hörte sie ihn kaum hörbar flüstern: „Frau B, da sind immer noch welche im Estrich, also passen Sie auf!“

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