17.01.2016

Zweisame Winterabende

Von Isabelle Fleischmann
Ruhig liegt die Katze da, halb auf dem Bauch, halb auf der Seite, die Vorderpfoten unter der Brust eingerollt. Den Kopf aufgerichtet, blickt sie erhaben wie eine Sphinx in die Runde, beobachtet mit ihren grünen Augen, was um sie herum vor sich geht.

Sie scheint klassischer Musik zu lauschen, die aus dem Radio ertönt. Die Ohren aufgestellt, schier regungslos, liegt sie da. Geniesst sie das Bei-Mir-Sein-Dürfen? Die behagliche Wärme eines Wohnzimmers, das weiche Sofa, zieht sie sicher der leeren, kalten Wohnung ihrer Stammfamilie vor. Die ganze Sippe ist verreist und Fiocca zeitweilig verwaist, mir und meiner Fürsorge anvertraut.
Ich bin dankbar, dass ich sie betreuen darf, leistet sie mir doch Gesellschaft, jetzt, wo die Tage kürzer und die Nächte länger werden. Ich schätze es, wenn ein Lebewesen wie sie präsent ist und mir die Einsamkeit zu ertragen hilft.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass auch sie ungern einsam ist, trotz ihres unabhängigen Charakters. Auf Dauer vermisst sie ihre Lieben, miaut herzerweichend.
Tagsüber ist sie zwangsläufig allein, weil ich arbeiten muss. Komme ich abends heim, halte ich nach ihr Ausschau. Hat wiederum sie mich erblickt, läuft sie mir entgegen und streicht mir um die Beine. Ich streichle sie ausgiebig und wir begeben uns beide ins Haus. Während wir die Treppe hochsteigen, ist es nicht etwa so, dass sie vorauseilt und dann oben vor der Wohnungstüre ungeduldig miauend auf mich wartet, bis ich alte Schachtel keuchend ankomme und die Türe zu „ihrer“ Wohnung aufschliesse.
Nein. Fiocca hält ab und zu inne, bis ich auf gleicher Höhe wie sie angekommen bin, läuft erst dann wieder weiter hoch und wartet wieder auf mich, bis wir oben vor der Wohnungstür angelangt sind. Dieses Auf-Mich-Warten hat es mir angetan. Ich habe selten eine so rücksichtsvolle Katze erlebt und diese Rücksichtnahme rührt, aber amüsiert mich gleichzeitig auch. Offenbar bin ich in den Augen von Fiocca tatsächlich nicht mehr die Jüngste, man muss Nachsicht walten und diesem bedauernswerten Stück Mensch Zeit lassen, das nicht mehr so flink und behände die Treppen hochkommt, wie man selber. - Wer weiss, was in so einem Katzenhirn vor sich geht?
Bevor ich sie füttere, ist es aus mit Warten können; sie gebärdet sich wie ein hungriges Raubtier. Ich lasse sie fressen und begebe mich hoch in meine eigene Wohnung. Nicht selten steht sie später vor der Tür und möchte hinein. Wenig später schläft sie auf dem Sofa, an mich geschmiegt oder auf dem Sessel und verbreitet Ruhe und Harmonie.
Nach ungefähr zwei Stunden erwacht sie und möchte heim. Ich begleite sie runter und schliesse ihr die Tür zur Wohnung auf. –
Nächstes Wochenende kehrt ihre Familie aus den Ferien heim, dann hat unsere traute Zweisamkeit ein vorläufiges Ende. Bis zu den nächsten Ferien.

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