20.12.2014

Weihnachtsleuchten

Von Andrea Mattmann
Die Welt glitzert. Es wird Nacht und Millionen von elektrischen Lämpchen beleuchten Häuser, Bäume, Gärten und auch ihre Wohnstube. Elektrisches Brennen zum Advent. Die Vögel verstecken sich, die Menschen auch, nur auf der mächtigen Tanne gegenüber ihrer Wohnung sitzt ein Vogel im Geäst. Sie sieht, wie dieser davon flattert und auf der Buxkugel vor dem Eingang des nächsten Hauses landet, die voller Lichter ist.
Sonderbares geschieht. Der Vogel, es muss eine Elster sein, hackt auf die Lichter ein. Hie und da zerbricht eines und immer mehr und mehr haut der Vogel um sich, bis kein Licht mehr brennt. Das gibt's doch nicht, denkt sie und bevor sie reagieren kann, flattert der Vogel zur Tanne zurück, wippt zweimal mit dem langen Schwanz und verschwindet im Geäst. Sowas, ich gehe besser schlafen und schaue, wie es am Morgen aussieht, murmelt sie und schlüpft ins Bett.
Der Nachbar staunt nicht schlecht, als er vom Adventssingen nach Hause kommt und die Dunkelheit bemerkt. Margrit, schau unsere Lichterkette ist zerstört. Wehe, wenn ich den Übeltäter erwische, der sie auf dem Gewissen hat. Sicher eines dieser Kids, die planlos herum streunen. Morgen erhebe ich Anzeige gegen Unbekannt. Das lasse ich mir nicht bieten. Zuerst klaut man uns das Adventsarrangement vor der Haustüre und jetzt das. Genug ist genug. Schimpfend verschwindet er im Haus.
Sie träumt unterdessen von Käfern, die Löcher in die Wände fressen und gerade als sie schreien will, stampft ihre Tochter durch die Tür und sie erwacht. Mam, schläfst du? Jetzt nicht mehr, warum? Du glaubst nicht, was ich gerade gesehen habe. Ein Vogel hat den Stern beim Altersheim kaputt gepickt. Ich habe die Hände zusammengeschlagen und er ist weggeflattert, aber kaum bin ich um die Ecke gebogen, hat er weitergemacht.
Sie lacht. Lachst du mich aus? Nein, ich habe etwas ähnliches erlebt und an mir gezweifelt, aber jetzt finde ich es nur noch schräg. Der Vogel ist übrigens eine Elster und man sagt, die haben gerne glitzernde Sachen. Ach so, aber ich finde es nicht so toll, es ist doch schade, egal ich gehe jetzt schlafen. Gute Nacht. Gute Nacht und schlaf gut. Bald hört man das gleichmässige Atmen der beiden, während die Nacht dem Morgen entgegen dämmert.
Ein bisschen Schnee ist gefallen und hell und jungfräulich weiss erscheint die Welt, als es hell wird. Beim Nachbar fährt ein Polizeiauto vor, während sie das Haus verlässt, um zur Arbeit zu gehen. In der Bäckerei, wo sie ein Rosinenbrötchen kauft, trifft sie auf Margrit, die Frau des Nachbarn, die der Verkäuferin gerade vorjammert. Auch der Mann, der als Nachtwache im Altersheim arbeitet, erzählt. Ja bei uns ist der Weihnachtsstern kaputt, da hat wohl jemand gewütet. Ich habe gesehen wie ... sie nimmt ihr Brötchen und verlässt den Laden. 
Die Polizisten haben die Anzeige des Nachbarn entgegengenommen und sich umgeschaut. Später befragen die Beamten Bewohner des Altersheims und Anwohner. Niemand hat etwas gesehen oder gehört, und da es halb zehn ist, beschliessen die Polizisten, zur Bäckerei zu fahren, um ein Pausenbrötchen zu kaufen und sich auch da umzuhören. Sie trinken Kaffee aus dem Plastikbecher am Stehtisch, plaudern über die bevorstehenden Festtage und wie sie sich um Lapalien wie kaputte Weihnachtsbeleuchtungen kümmern müssen, während der Weltfrieden immer mehr wackelt. Da es keine brauchbaren Hinweise gibt, lassen sie es dabei bleiben und ziehen weiter .
Es ist Abend geworden und sie sitzt mit ihrer Tochter in der Küche beim Nachtessen, als es draussen lärmt. Was ist denn da los, sagt sie und bewegt sich zum Fenster, gefolgt von Tochter Vera, So was Dummes. Herr Gerber vom Haus gegenüber hat einen Stein geworfen und Frau Barth getroffen. Gehts noch, schreit diese und hält sich den Oberarm. Herr Gerber entschuldigt sich tausend Mal und behauptet, eine Elster habe an seinem beleuchteten Rentier gepickt und er habe versucht, sie zu verscheuchen. Und wirklich, da flattert und segelt etwas durch die Luft. Das kann ja heiter werden, meint Vera. Die Tage vergehen und weitere Lämpchen zerbrechen. Die Elster ist bald allgemein bekannt und man versucht sie einzufangen, zu verscheuchen, zu vergiften; aber sie ist zu
clever und geht niemandem auf den Leim. Anstelle elektrischer Lichterketten stehen immer öfter Kerzenlichter vor den Fenstern und täglich fährt die Polizei Runden im Quartier. Eine Woche vor Heiligabend gibt es trotzdem fast keine elektrischen Lichter mehr.
Sie geniesst es, zwischendurch auf dem Balkon zu sitzen, nach den Pflanzen zu schauen und Wölkchen in die Luft zu blasen. In einer sternenklaren Nacht entdeckt sie ihn dann, den Vogel. Er versteckt sich im Gestrüpp ihrer grössten Pflanzenkiste. Na sowas, da bist du also die ganze Zeit. Darum findet dich niemand. Sie lässt ihn in seinem Versteck in Ruhe.
Es ist Heiligabend. Der Nachbar mit seiner Frau und auch die meisten anderen sitzen in der warmen Stube und feiern. Die Bäckerei hat geschlossen, die Polizisten fahren durchs Quartier und
sie öffnet die Balkontüre, um frische Luft zu schnappen und den klaren Nachthimmel zu betrachten.
Da entdeckt sie auf der Spitze der Tanne, leuchtend im Sternenlicht, den Vogel. Dieser wippt zweimal mit dem Schwanz, als ein Schuss durch die Nacht knallt. Was ist los, ruft ihre Tochter und stürmt auf den Balkon.
Überall werden Fenster aufgerissen und noch während der Schuss verhallt und die Elster dumpf auf dem Boden aufschlägt sieht sie ihn - ein grosser Weihnachtsstern leuchtet hell an der Spitze der Tanne.

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