09.11.2012

Wie die Sterne ans Himmelszelt zurückkehrten

Von Jost Aregger

Letzten Freitag war Gott beim Teufel eingeladen. Sie wollten wieder einmal zusammen spielen. Gott kam zu spät. Er war vom Weg abgekommen – nicht zum ersten Mal. Er hatte Mühe, sich in dem dunklen Chaos zurecht zu finden, in dem der Teufel lebte. Diesmal hatte er wenigstens daran gedacht, die ewige Fackel mitzunehmen, die etwas Licht in die Dunkelheit brachte.

  „Da bist du ja.“ Der Teufel begrüsste ihn mit einem schiefen Lächeln. „Heute etwas weniger verspätet als letztes Mal. Wenn du so weiter machst, dann wirst du in etwa zweihundert Jahren pünktlich sein.“
  Gott wischte sich den Schweiss von der Stirn. „Kaum zu glauben, wie heiss es hier unten ist. Du solltest endlich Wegweiser aufstellen lassen, das Loch hier ist sonst unmöglich zu finden. Lass mich rein, ich muss mich setzen.“
  Der Teufel öffnete die Tür und liess Gott herein. Gott ging ins Wohnzimmer, stellte das Herdfeuer klein und setzte sich auf einen der grobschlächtigen Eisensessel, die sich der Teufel von seiner Tochter hatte schmieden lassen. 

  Der Teufel setzte sich ihm gegenüber. Gott starrte auf den Tisch, der zwischen ihnen stand. 
  „Was spielen wir heute?“ 
  „Ich schlage Würfelpoker vor. Mir scheint, das können wir beide am besten.“ 
  „Einverstanden. Wie hoch soll der Einsatz sein?“ 
  Der Teufel lehnte sich zurück und lächelte sein bekanntes hintergründiges Lächeln. 
  „Als Einsatz schlage ich etwas Besonderes vor: die Sterne.“
  „Die Sterne?“
  „Ja, die Sterne. Weisst du noch, wie du sie vor tausend Jahren vom Himmel geholt und bei dir eingeschlossen hast, nur wegen der paar Seelen, die ich dir mit einer zugegeben nicht ganz fairen List abspenstig gemacht habe? Seither ist es bei uns nur noch finstere Nacht. Es gibt keinen einzigen Lichtschimmer an unserem Teil des Himmels, und meine Teufel und die armen Seelen, die bei uns zu Gast sind, werden immer trauriger. Wir brauchen den Anblick der Sterne, sonst werden wir hier unten vor lauter Trübsinn eines Tages alle eingehen. Darum möchte ich um die Sterne spielen. Wer gewinnt, darf sie für sich behalten.“
  Gott kratzte sich über dem rechten Auge. 

  „Du hast merkwürdige Ideen. Du weisst genau, dass das mehr als verdient war, als ich die Sterne zu mir holte. Das hast du diesem fiesen Trick zu verdanken, den du damals angewandt hast.“
  „Das mag sein. Seither hab ich so was aber nie mehr gemacht. Das müsstest du auch anerkennen.“
  Gott legte die Stirn in Falten.
  „Das stimmt zwar. Trotzdem, ich weiss nicht. Bei mir sind die Sterne sicher.“
  „Komm schon, sei kein Lamm. Ein bisschen Risiko muss sein beim Pokern, sonst macht’s keinen Spass.“
  Gott seufzte ergeben. „Meinetwegen. Aber versuch bloss keine faulen Tricks, sonst werde ich dafür sorgen, dass ihr hier unten nie mehr Licht habt.“
  „Keine Angst, ich werde mich hüten. Magst du einen Drink?“
  „Ja, ein Drink wär nicht schlecht. Hast du noch diesen höllisch guten Single Malt, den wir vor hundert Jahren angebrochen haben?“
  „Ja, den trink ich nur mit dir.“
  Der Teufel zog an der Kordel zur Dienstbotenklingel. Sein Diener erschien, ein blonder Hüne mit blauen Augen, der sich vor Gott und dem Teufel verneigte.
  „Bring uns den Lagachmorein und zwei Kristallgläser aus der Schatzkammer, Siegfried.“
  Der Diener verbeugte sich. „Sehr wohl, mein Herr und Meister.“ Er entfernte sich federnden Schrittes.
  Gott schmunzelte. „Hat sich gut gehalten, dein Butler.“
  „Ja, ist eine wahre Augenweide, dieser Siegfried.“
  Siegfried kehrte mit einem Silbertablett zurück, auf dem das Gewünschte stand. Er schenkte ein und stellte die Gläser hin.
  „Zum Wohlsein, die Herrschaften.“
  „Besten Dank.“ Gott lächelte. Nur mit Mühe konnte er den Impuls unterdrücken, Siegfried in die rote Wange zu kneifen, als der sich zurückzog.
  Sie stiessen mit den Kristallgläsern an und tranken geniesserisch.
  „Wollen wir beginnen? Ich schlage vor, wir wärmen uns zuerst mal ein bisschen auf.“
  Sie würfelten eine Weile lang ohne Einsatz, mit wechselndem Glück. Mal gewann Gott, mal der Teufel.
  Ungefähr nach einer halben Stunde stand der Teufel auf.
  „So, nun gilt’s ernst. Ich hole dafür die schönen Würfel, die du mir geschenkt hast.“
  Gott hatte dem Teufel einst zu Weihnachten besonders schöne, orientalische Würfel geschenkt, die er von einem Kalifen erhalten hatte, als der in den Himmel kam.
  Der Teufel legte die Würfel des Kalifen in die Mitte des Tisches und räumte die anderen Würfel zur Seite.
  „Nur ein Durchgang. Wer beginnt?“
  „Ist mir egal.“
  „Gut, dann fang ich an.“
  Der Teufel nahm die Würfel in seine stark behaarte linke Hand und atmete tief durch. Er schüttelte die Hand und warf die Würfel mit einer Sanftheit auf den Tisch, die ihm kaum jemand zugetraut hätte.
  Er warf zwei Paare; zwei Zehner und zwei Damen. Er nahm den fünften Würfel, der einen König gezeigt hatte, und warf ihn zum zweiten Mal – ein Bube. Er nahm den Würfel auf, schüttelte ihn stark in der Hand und warf ihn zum dritten Mal auf den Tisch, diesmal mit einer eher ungelenken Bewegung.
  Eine Dame. Der Teufel atmete auf. „Full House. Jetzt du.“
  Gott nahm die Würfel in seine rechte Hand. Er schloss die Augen für einen kurzen Moment, schlenkerte die Würfel ein wenig in der geschlossenen Hand hin und her und liess sie mit einer lässigen Bewegung aus dem Handgelenk heraus von der geöffneten Hand auf den Tisch fallen.
  Ein Würfel nach dem anderen blieb bei einem As stehen.
  Gott lehnte sich lächelnd zurück. „Fünf Asse. Ich habe gewonnen. Das hast du nun von deinen überspannten Ideen.“
  Der Teufel starrte auf den Tisch, von wo aus die fünf Asse zurückstarrten. Er hatte wieder einmal alles riskiert und alles verloren.
  Gott beugte sich vor. „Weil ich aber der gütige Gott bin, werde ich die Sterne trotzdem wieder am Himmel verteilen, unregelmässig zwar, aber so, dass sie auch in der Nacht zu sehen sind. So kommen alle in den Genuss der Sternenpracht, auch du und die Deinen.“
  Er stand auf. „Nun möchte ich nach Hause. Das Spiel hat mich angestrengt.“
  Der Teufel stand auch auf. Er verneigte sich vor Gott. „Ich danke dir. Deine Grosszügigkeit beschämt mich. Ich stehe in deiner Schuld.“
  „Du schuldest mir nichts. Aber denk daran, Wegweiser aufzustellen. Leb wohl.“
  „Leb du auch wohl. Komm gut nach Hause.“
  Sie gaben sich zum Abschied die Hand.
  So kehrte Gott in den Himmel zurück. Die ewige Fackel leuchtete ihm den Weg.
  Im Himmel angekommen, holte Gott die Sterne aus der Truhe, in der er sie verwahrt hatte. Er nahm die Sterne in seine mächtige rechte Hand und verteilte sie mit einem weiten Wurf in unregelmässigen Abständen am Himmelszelt, wo sie seither unverändert stehen und jede Nacht mit ihrem fernen Schein verzaubern.

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