11.11.2012

Entsorgung

Von Stefanie Portmann

Elaine kochte innerlich vor Wut, als sie ihn laut anschrie, er solle doch für immer aus ihrem Leben verschwinden. Natürlich war auch Bill sehr sauer in dem Moment, doch er ging davon aus, dass sie sich bald beruhigen würde. Spätestens nach vier Tagen war der Spuk vorbei und sie war wieder ganz die Alte. Er kaute grinsend auf einer Karotte und liess sich nicht aus der Ruhe bringen.
  Kannst du haben. Ich bin schon weg, sagte er. Dann warf er die angekaute Rübe auf den Tisch, stand langsam auf und verliess die Küche und das Haus. 
  Elaine wusste aus Erfahrung, dass er am nächsten Tag wieder so tun würde, als wäre alles in Ordnung und nichts geschehen. Dass Elaine gerade eben nur noch rot sah, schien ihn wenig zu kümmern. Sie schlug die Türe laut und heftig hinter ihm zu und setzte sich weinend auf den Küchenstuhl. Sie zitterte am ganzen Körper und das Rüstmesser, das vor ihr auf dem Tisch lag, hatte so einen schönen metallenen Glanz. Ja, ihre Augen und die Konzentration auf Alltagsgegenstände zu richten, half ihr in letzter Zeit, ruhig zu bleiben. Sie stellte sich vor, wozu das Messer gut war und was es alles durchtrennen könnte. Eine Karotte. Eine Tomate. Käse. Fleisch. Eine Schnur. Ein seidenes Band. Sehnen und Nerven.  
  Elaine erschrak nicht ob ihren eigenen Gedanken. Sie hatte sich schon früher für eine Sekunde vorgestellt, Bill zu töten. Sie hatte nach seinem Fleisch, seinem Leben getrachtet, wie oft zuvor, wenn sie zornig auf ihn war und beinahe verzweifelte ob seinem selbstgefälligen Benehmen. Vor allem wenn er aufstand und einfach ging, wenn sie noch voll in Rage war, brodelte der Zorn dann oft noch tagelang in ihr weiter, bis er irgendwann zu einem mickrigen Köcheln verkam und zu guter Letzt auskühlte, wie eine vergessene Gemüsesuppe. 
  Sie räumte hastig das Messer und das Schneidebrett weg, warf die Küchenabfälle in den Kompostkübel, wie es sich gehörte, und wischte mit einem billigen Lappen über den kleinen Fünfzigerjahre-Tisch mit den metallenen Beinen. Bill hatte das Ungetüm in die gemeinsame Wohnung gebracht, doch so sehr sie Bill damals angebetet hatte, so fand sie den Tisch doch nie besonders ansehnlich oder hätte Freude daran entwickelt. Im Gegenteil, sie ertappte sich beim Gedanken, dass sie einfach angefangen hatte, über die Hässlichkeit der roten Tischplatte hinweg zu sehen, genau so wie sie immer wieder über Bills Seitensprünge, seine Trägheit im Haushalt und über seine gemeinen Sprüche hinwegsah.  
  Diesmal ist er aber definitiv zu weit gegangen. Wie konnte er nur mit der dummen Angie schlafen – und erst noch in meinem Bett? Sofort, als hätte jemand Öl in eine Glut gegossen, schoss ihr die Zornesröte ins Gesicht. Sie dachte kurz ernsthaft darüber nach, das Messer doch noch hervor zu holen und ihm aufzulauern. Irgendwann würde er nämlich schon sturzbetrunken nach Hause kommen – und dann wäre er ein leichtes Opfer. 
  Sie legte sich in ihr Bett, das Bett, in dem Bill mit Angie geschlafen hatte und lag lange wach und mit offenen Augen im Dunkeln. Es wurde spät und später, doch Bill blieb weg. Irgendwann war es dann so früh, dass sie die Müllmänner hören und riechen konnte, die durchs Dorf fuhren und die stinkenden Abfallsäcke mitnahmen. Soll er doch wegbleiben, dachte sie. 
  Und mit diesem Gedanken schlief sie endlich ein. Sie träumte grässliche Szenen aus ihrer Kindheit in den frühen Siebzigerjahren, als ihr alkoholsüchtiger Vater grausam ihre Mutter verprügelt hatte. Dann träumte sie von ihrem ersten Freund und wie sie sich immer erbrach, nachdem er sie geschlagen hatte. Bill tauchte dann auf und übernahm die Rolle des heldenhaften Retters, wie das in Wirklichkeit auch geschehen war, danach sperrte er sie in einen viel zu engen Käfig, dessen Stäbe sie rasend mit den Händen zertrümmerte und ausbrach, nur um Bill mit dem Küchenmesser zu erstechen.   
  Elaine wachte auf, schweissgebadet und in totaler Panik. Ihr war speiübel und sie hätte sich übergeben müssen. Doch sie wagte nicht, sich zu bewegen oder auch nur die Augen zu öffnen. So lag sie eine Weile gefangen zwischen ihrer grässlichen Traumwelt, der erlebten Vergangenheit und dem Hier und Jetzt in ihrem Bett und regte sich nicht. Und selbst als sie aufstehen wollte, gehorchten ihr die Beine und Arme nicht. Beunruhigt versuchte sie ihre Glieder wach und ihre Augen auf zu kriegen. Sie lag da wie gelähmt. Erst als sich der grosse linke Zeh ihrem Willen beugte und sich bewegte, kam etwas Hoffnung auf. Sie befahl dem ganzen Fuss wach zu werden und dann kam Leben in ihre Hände. Sie fasste sich an den Armen, und klopfte an ihre Ellen und die Oberarme. Die Lebensgeister kamen zurück. Was für eine fürchterliche Nacht! dachte sie. Immerhin war die Übelkeit bald wieder weg. Wahrscheinlich hatte sie sowieso alles nur geträumt. 
  Sie setzte sich auf den Bettrand, dann schleppte sie sich ins Badezimmer. Vor dem Spiegel fielen ihr die Details des gestrigen Abend ein, und der reuige Anruf ihrer Cousine Angie. Sofort schob sich auch wieder Bills Grinsen vor ihr inneres Auge. Normalerweise wäre spätestens jetzt die Wut wieder entfacht. 
  Doch etwas war anders als sonst. Warum will ich ihn nicht tot sehen? wunderte sie sich. So weit wie er diesmal gegangen ist, müsste ich ihn doch dafür am Liebsten einfach nur in der Hölle schmoren sehen wollen! Da fiel ihr wieder der Traum ein, und wie sie Bill darin das Messer in die Brust gestochen hatte. Eine grosse Leere breitete sich in ihr aus und sie fühlte oder dachte für einen Moment überhaupt nichts. Sie hörte nur Stille und sah ihr Gesicht im Spiegel. Dann wurde ihr plötzlich klar, dass es vorbei war. Ich bin nicht einmal wütend. Es ist mir egal, was Bill tut oder je getan hat. Er ist es nicht wert. 
  Sie lächelte fast ein wenig ungläubig, packte seine Kleider in mehrere Taschen und Plastiktüten, und stellte diese mitsamt dem kleinen Küchentisch und dem Messer darauf vor die Haustüre. 
  Bill verstand den Hinweis wohl und verschwand aus dem Dorf, ja vielleicht sogar aus dem Land. Den grässlichen Tisch mit der roten Platte liess er stehen. Die Müllmänner nahmen das Ungetüm eine Woche später mit zur Entsorgung. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen